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ADHS, Autismus und zunehmend besondere Fälle – Fachtag über Veränderungen in der beruflichen Rehabilitation in Göttingen

Die Sonne meinte es gut: Bei hochsommerlichen Temperaturen hatten Corinna Löffler, Geschäftsführerin der Salo Nordwest GmbH und Niederlassungsleiter Thilo Heinrich zum Fachtag nach Göttingen eingeladen. Das Thema „Veränderung in der beruflichen Rehabilitation – zunehmend besondere Fälle“ fand regen Anklang und lockte 40 Gäste in die Salo-Niederlassung am Rodeweg 20.

Nicht zu übersehen: Ein großes SALO-Schild über dem Eingang wies Gästen, Referierenden und ortsfremden Kollegen den Weg in die Niederlassung. Fotos: S. Sautter

Niederlassungsleiter Thilo Heinrich und Corinna Löffler (Geschäftsführerin SALO Nordwest GmbH) begrüßten gemeinsam rund 35 Fachtag-Gäste.

Anne Ebbertz (li., sozialpädagogischer Dienst.) und Psychologin Jana Skaliks freuten sich auf den informativen Austausch beim Fachtag in Göttingen.

Kollegiale Unterstützung für Corinna Löffler (Mitte): Psychologin Yiling Du (li.) und Niederlassungsleitung Max Mätzke kamen aus Hannover nach Göttingen.

Nach der Begrüßung und einem auflockernden Kennenlern-Spiel startete Joachim Borgmann, Vorstand Markt der Salo Holding AG, mit einem eindrücklichen Vortrag über die „Berufliche Rehabilitation im Wandel der Zeit – Rückblicke und Ausblicke auf die Herausforderungen unserer Arbeit“. Zunächst gab es anerkennende Worte zum bestehenden Reha-System in Deutschland: „Ich bin dafür sehr dankbar“, sagte Joachim Borgmann. „Sicher, es könnte immer mehr sein. Aber unser System sucht weltweit Vergleichbares.“ Es folgte ein historischer Abriss vom dramatischen Anstieg der Fallzahlen nach dem Ende des 1. Weltkriegs und dem folgenden „Krüppelfürsorgegesetz“ – so hieß es damals wirklich! – über die Gründung der ersten Berufsförderwerke (BFW) in den 1950er Jahren bis heute. „Die Anforderungen verändern sich stetig. Heute haben wir zunehmend zielgruppenspezifische Angebote, mit steigenden Komorbiditäten“, erklärte Borgmann. Die Konsequenz daraus ist zukünftig wachsende Individualität und der Weg hin zu mehr und mehr Einzelfällen. „Irgendwann gibt es nur noch Einzelfälle. Denn alle Menschen in ihrer großen Vielfältigkeit haben ein Recht auf Teilhabe“, schloss Joachim Borgmann.

Vorstand Joachim Borgmann hielt einen spannenden Vortrag über die Entwicklung der beruflichen Rehabilitation im Lauf der Zeit.

Gute Stimmung in der Pause: Bei kleinen Köstlichkeiten und kühlen Getränken wurde in den Pausen über die Vorträge gesprochen.

Kollegiales Treffen: Marc Reß (stellv. Niederlassungsleiter Hildesheim) und Psychologin Yiling Du tauschten sich fachlich aus.

Nach einer kurzen Pause ging es weiter: Psychiater Prof. Dr. Klaus-Peter Lesch, Senior-Professor an der Uni Würzburg und Leiter der klinischen Forschergruppe „Erkrankungen der neuronalen Entwicklung und Kognition“ sprach über ein weitgehend unbeachtetes Thema – „ADHS im Erwachsenenalter: Eine unterschätzte Erkrankung“. Im Volksmund gern als „Zappelphilipp-Syndrom“ bezeichnet, ist bereits die Diagnose des ADHS – steht für Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung – eine Herausforderung. Im Erwachsenenalter kommt sie mit hoher Komorbidität einher. „Bleibt ADHS unerkannt, entwickeln 50 Prozent der Betroffenen im Lauf des Lebens eine Depression, Angsterkrankungen oder Alkohol- oder Substanzabhängigkeit. Menschen mit unbehandelter ADHS verursachen vier Mal häufiger Verkehrsunfälle. Das geht bis hin zur Straffälligkeit“, erklärte Prof. Lesch. Die Erkrankung, der eine durch viele Faktoren verursachte Funktionsbeeinträchtigung des Gehirns zugrunde liegt, ist mit Methylphenidat oder Amphetamin gut behandelbar. „Psychotherapien haben unterm Strich nicht viel zur Verbesserung beigetragen“, sagte Prof. Lesch.

Prof. Dr. Klaus-Peter Lesch (Zentrum für psychische Gesundheit, Uni Würzburg) referierte über ADHS bei Erwachsenen.

Simon Jonski (re.) hielt als Betroffener den Vortrag „Vom Außenseiter zum Insider – wie ADHS und Autismus (m)ein Leben formten“ und wurde von Thilo Heinrich vorgestellt.

Welche Auswirkungen eine unerkannte Erkrankung wie ADHS im Alltag bedeuten kann, schilderte auf sehr emotionale und anschauliche Weise Simon Jonski, der von Autismus und ADHS betroffen ist. In seinem Vortrag „Vom Außenseiter zum Insider – Wie ADHS und Autsimus (m)ein Leben formten“, schilderte der hochgewachsene Jonski („bevor jemand fragt, ich bin 2,06 Meter groß und haben Schuhgröße 51“) sein Leben: „Mein Lebenslauf war wild. „Meine Mutter dachte, ich sei taub, da ich erst mit drei Jahren gesprochen habe. Umarmungen konnte ich nicht leiden und Hausaufgaben habe ich seit der 1. Klasse nie gemacht.“ Doch Simon Jonski war weder faul noch unwillig. „Ich hätte gern Hausaufgaben gemacht. Ich konnte es einfach nicht. Den Ruf als schwarzes Schaf hatte ich in der Schule rasch weg.“ Die gesamte Schullaufbahn gestaltete sich trotz hoher Intelligenz als schwierig. Das änderte sich bei der Bundeswehr, für die Jonski sich verpflichtete und rasch Karriere machte. „Da gab es klare Strukturen, die mir einleuchteten. Ich war frei.“ Doch im anschließenden Studium wurde die Situation so schlimm, dass der junge Mann einen Suizidversuch unternahm und mit schweren Depressionen in eine Klink kam. Dort wurde er diagnostiziert und bekam Medikamente gegen ADHS. „Damit wurde ich endlich ruhig. Plötzlich habe ich mich selbst verstanden. Ich sehe noch immer denselben Film, habe aber eine andere Einstellung dazu“, schilderte Simon Jonski sein jetziges Befinden. „Ich konnte aufhören, dagegen anzukämpfen.“ Heute arbeitet er erfolgreich als Coach und leitet ein Team: „Das funktioniert mit Vertrauensarbeitszeit und verständnisvollen Kollegen.“

Psychologin Sylva Schlenker (Fachliche Leitung Autismus bei Salo) und Thilo Heinrich stimmen am PC den Autismus-Vortrag ab.

Zum Abschluss gab Diplom-Psychologin Sylva Schlenker, bei Salo verantwortlich für Autismus bundesweit, mittels einprägsamer Übungen eine Vorstellung davon, mit welchen Handicaps Menschen mit Autismus zu tun haben. Dazu gehörte unter anderem das Schauen durch ein zusammengerolltes Papier-Fernrohr. „So ein eingeschränktes und ausschnitthaftes Blickfeld haben Menschen mit Autismus“, erläuterte Sylva Schlenker.

Bei Kaffee, Kuchen und angeregten Gesprächen klang der Fachtag langsam aus.

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